Was ist Qi?
Im Allgemeinen findet sich in jeder Kultur die Idee einer Lebenskraft, die alles durchdringt und durchströmt. Sie ist nicht greifbar, aber ihre Auswirkung ist körperlich, geistig und seelisch spürbar. Schwindet sie, nähert sich ein Lebewesen dem Tod. Das chinesische Wort dafür ist Qi, das indische Prana, das tibetische Lung, das japanische Ki, das jüdische Ruach und das arabische Wort Barraka.
Qi kann auch übersetzt werden mit Dampf (über dem Reistopf) oder Atem und wird verstanden im Sinne von Lebensenergie, Vitalkraft, Lebensessenz, feinstoffliches Fließen oder Bioelektrizität.
Wissenschaftliche Versuche von Dr. Motoyama weisen darauf hin, dass Qi dem Bewusstsein jenseits von Raum und elektromagnetischer Abschirmung folgt. Dementsprechend scheint Qi mehr zu sein, als ein elektromagnetisches Phänomen. Vielmehr scheint es sich um eine vitale Essenz jenseits der subatomaren Strukturen zu handeln, die genauso wenig greifbar ist, wie man bestimmen kann, ob Quanten in Wellen- oder Teilchenform auftreten oder wo im Raum sie sich genau befinden.
Spätestens hier muss die Idee einer klar definierten Körper- und (Bewusst)-Seinsgrenze aufgegeben werden, denn der Körper und auch unser Geist scheint über das Meridiansystem mit dem umgebenden Kosmos verbunden zu sein.
Während das Qi also auf physisch-materieller Ebene schon seit über 2000 Jahren zur Gesunderhaltung und Wiedergesundung medizinisch genutzt wird, ist es gleichzeitig ein zentrales Zugangsmedium zu spiritueller Entwicklung
Das Qi gleicht in unserem Körper einem unaufhörlichen, großen Strom, der umso schneller und kraftvoller fließt, je mehr Wasser er führt. Gemäß der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) verteilt er sich in einem Netz von Energiebahnen (12 Meridiane und 8 Sondermeridiane) und versorgt den gesamten Körper (Organe, Gewebe, Muskeln, Blut, Nerven, Zellen) mit warmer, vitaler Lebenskraft. Entscheidend ist aber nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität und die harmonische Verteilung dieser Lebenskraft. Ein lokales Zuviel (Shi = Fülle, Überschuss) kann genauso wie ein lokales Zuwenig (Hsu = Mangel) zu Störungen oder Erkrankungen führen.
Die Techniken der TCM, der Ayurveda, des Yoga und natürlich auch des QiGong beruhen auf dem Ausleiten von „ungesundem“ Qi, der Anreicherung von „gesundem“ Qi und dem Ausgleich der Qi-Zirkulation. Ziel ist es letztendlich eine Harmonie im Menschen derart zu erreichen, dass die Energie eines Wesens wie eine einzige große Welle durch den Organismus flutet. Wunderbar ist dies bei Kindern zu beobachten: Wellen von Erregung, Energie, Gefühlen, Impulsen kommen, breiten sich aus und gehen wieder – Leben in unbehindertem, freien Fluss….
Neben dem Qi werden in der TCM noch zwei weitere Energie-Elemente angenommen: „Shen“, der Geist oder das Bewusstsein (der als im Herzen wohnend angenommen wird), auch die Persönlichkeit eines Menschen (der Geist, der aus den Augen strahlt) und „Jing“, die Essenz oder Substanz, häufig auch als Sexualenergie verstanden, da es für feinstoffliche Phänomene wie die Fortpflanzung zuständig ist. Darüber hinaus sorgt es aber auch für die Verteilung der Nährstoffe, Standfestigkeit, Verwurzelung, die grobe physische Kraft (Knochen/Muskulatur) und andere körperliche Aktivitäten (P. Hinterthür). Wenn Jing mit einem Auto verglichen werden kann, dann ist Qi der Sprit (lässt sich schnell aufladen) und Shen der Fahrer. Alle drei Elemente sollen im QiGong gestärkt und balanciert werden, wobei sich die Ebene des Qi am leichtesten verändern lässt.
Was ist QiGong?
Die Ausübung von QiGong umfasst folgende Ebenen: Schulung von Bewegung, Koordination, Haltung, Regulation der Atmung; Steuerung von Gedanken und Vorstellungskraft.
Sie umfasst die Ebenen des physischen Körpers, des mentalen Verstehens (Theorie), der Energie und des uns umgebenden Feldes, bzw. des Lebens an sich in seinen Bewegungen.
Es gibt QiGong-Bewegungen, die einzeln ausgeübt werden können, Formen die verschiedene Bewegungen beinhalten, sowie bewegtes und stilles QiGong. Während die Basisübungen im allgemeinen das Wohlbefinden verbessern, können bei vertiefter Praxis auch Krankheiten geheilt werden. Erst später beginnt eine Entwicklung der gesamten Persönlichkeit, die in einer spirituellen Entwicklung mündet.
Basisübungen: Streck- und Dehnübungen; Übungen zum Aufbau einer guten Körperstruktur; Erdungsübungen; Atemübungen; Visualisierungen; Meditationen; Selbstmassage; einfache Bewegungsformen …
Höhere Stufen: komplexe Bewegungsformen; geistige Transformation negativer Gefühle; Transformation von Sexualenergie in Bewusstsein; Übertragung von Qi; tiefe innere Versenkung ….
Um QiGong nicht als moderne Wellnessgymnastik zu betreiben, sondern es tiefer zu verstehen und zu erfahren, ist es wichtig die Verwurzelung in Taoismus und der TCM zu sehen. QiGong als Bewegungskunst wurzelt in einer medizinischen Wissenschaft und einer ganzheitlich-spirituellen Weltanschauung!
Letztlich ist der Ausgangspunkt eine „psychosomatische“ Sichtweise: Das Wesen eines Menschen „verkörpert“ sich vollständig. Das heißt, dass unser Wesen auf der körperlichen Ebene in Aufbau, Struktur und Haltung des Körpers, muskulär und organisch und in der Funktionsweise eben dieser Strukturen zum Ausdruck kommt. Wenn der Körper als Flussbett verstanden werden kann und Qi als die darin strömende Lebenskraft, hängt das gute „Funktionieren“ notwendigerweise davon ab, wie die Lebenskraft in dem Flussbett strömen kann. Erst wenn die Struktur des Körpers so ausgerichtet ist, dass alle Einzelelemente gut verbunden sind und als Einheit arbeiten, können größere Ströme von Lebensenergie ins Fließen kommen. Zunächst geht es also im QiGong darum das Flussbett zu pflegen, damit der Fluss gut darin strömen kann. Dies geschieht durch den Abbau von Blockaden (chronische Fehlhaltungen und Muskelverspannungen), sowie den Aufbau von Kraft (Reinigung und Stärkung), um (a) weniger für Krankheiten anfällig zu sein und (b) mehr Energie/Vitalkraft aufnehmen zu können, also um (c) letztlich lebendiger zu sein und sein gesamtes Potential als Mensch (körperlich, emotional, sozial, geistig) leben zu können.
In dieser Beschreibung wird auch deutlich, dass immer die beiden Aspekte von „Struktur“ und „Fluss“ berücksichtigt werden müssen. Beide bedingen und unterstützen sich gegenseitig (sowohl positiv, als auch negativ) und sollten sich im Laufe der Praxis verbessern.
Es gibt QiGong-Formen, die mehr auf den Aufbau von Struktur (Bündeln von Kraft) ausgerichtet sind und Formen die mehr den Fluss unterstützen (Beweger).
Neben den Abbau von Blockaden und dem Aufbau von Kraft wird aber noch ein weiteres Ziel erreicht: die Wahrnehmung wird sensibilisiert und differenziert. QiGong beinhaltet also eine komplette Schulung von Wahrnehmung und Achtsamkeit und ermöglicht uns so eine genaue „Standortbestimmung“: zu spüren und fühlen, wo wir gerade sind, wie wir uns befinden und was wir gerade brauchen.
Wir beginnen innerhalb eines Kurses mit der ganzheitlichen Wahrnehmung unseres gesamten Zustandes, wir tauchen ein in Stille, in der wir auch die Bewegungen unseres Geistes und unserer Gefühle beobachten können. Von dort aus schreiten wir fort zur Wahrnehmung von Körperstrukturen (Muskeln, Knochen, Sehnen, Organe, Zellen), weiter zur Wahrnehmung von Bewegung (Körperkoordination, Lage im Raum, etc.) und schließlich zur Wahrnehmung des Energieflusses in Strukturen und Bewegungen aber auch außerhalb….
Im Vergleich zu anderen Formen der Körperarbeit wird nicht so viel Gewicht auf die immer differenziertere Wahrnehmung von Gefühlen und Gedanken gelegt. Dies stellt meiner Ansicht nach einen guten und sinnvollen Ausgleich zur Überemotionalisierung dar, die oft eine Nebenwirkung von Körpertherapien sein kann. Andererseits ist die Körperarbeit im QiGong ebenso ein guter Ausgleich zur einseitig kognitiven Orientierung der herkömmlichen, sprechenden Therapie/Medizin.
Die Wahrnehmung des uns umgebenden Energiefeldes kann im Laufe der Übung zur Entwicklung eines sechsten Sinnesorganes führen, welches später ermöglicht rationale Analyse einer Situation durch intuitives Erfassen und Reagieren zu ersetzen.
Aus der TCM heraus ist ein tiefes Wissen über den Aufbau und das Funktionieren des Organismus verfügbar. Neben dem Balancieren des Meridiansystems und dem Stärken der inneren Organe ist die Idee der Mitte zentral: Der Körper wird in drei Hauptzentren oder Dantiens (Kopf/Herz/Unterbauch) unterteilt. Die Lebenskraft Qi lässt sich der TCM gemäß nur im unteren Dantien speichern. Für alle Lebensfunktionen ist „die Kraft der Mitte zentral“. Die Mitte als Kraftzentrum versorgt den ganzen Körper! Alles andere baut darauf auf. Folglich ist der erste Schritt im QiGong die Kraft der Mitte oder „den (unteren) Dantien“ aufzubauen und die Speicherfähigkeit desselben zu aktivieren.
Weitere zentrale Anliegen sind:
- Entspannen, loslassen und sich öffnen
- Das Herz öffnen und sich mit der umgebenden Welt verbinden
- In eine Natürlichkeit eintreten – alles weglassen, was vom Ich kommt
- Sich zentrieren und stabil werden
Wird QiGong nach diesen Prinzipien von Beginn an geübt, kann dies den Charakter des Übenden verändern. Das jahrelange Praktizieren von QiGong führt also ebenso zu tiefgreifenden Veränderungen in der Persönlichkeit wie Psychotherapie. Beides unterstützt sich gegenseitig und vervielfacht in der Kombination die Wirkung jeder Maßnahme.
Das tiefste Ziel des QiGong ist es wieder für den Lebensfluss durchlässig zu werden: Ein Gefäß für das Leben, welches die Bewegungen der Lebendigkeit in ihrer ursprünglichen Form aufnehmen kann.
Aspekte des QiGong auf der Grundlage der TCM und der Weltsicht des Taoismus
- TCM (Ernährung, Akupunktur, Moxa, Kräuter): Qi wird von außen harmonisiert und genährt
- Körperarbeit (Struktur, Bewegungsformen): Der Körper bewegt und stärkt das Qi
- Visuelle Ebene (in die Zellen lächeln, Sexualpraktiken: Sexualenergie in die WS lenken, innere Alchemie: Fusion der Elemente): der Geist bewegt das Qi, der Zustand der Zellen verändert sich
- Geistige Ebene (Verständnis/Einsicht bekommen, Stille): In der Stille bewegt sich das Qi von alleine; wir beobachten; alles kommt zur Ruhe – das Dao kann die Führung übernehmen