Während die tiefenpsychologische Betrachtungsweise eher vergangenheitsorientiert ist (Wie sind Probleme entstanden?) und die lösungsorientierten Ansätze zukunftsorientiert ausgerichtet sind (Wie können Probleme gelöst werden?), ist der Schwerpunkt der verhaltenstherapeutischen Sichtweise gegenwartsorientiert (Wie werden Probleme aufrecht erhalten?)
In der Verhaltenstherapie beschäftigen wir uns primär mit der Gegenwart: Ist diese zufriedenstellend? Wo liegen die gegenwärtigen Problemfelder? Gibt es zu wenig Struktur und zu viel Chaos oder ist eine Starre, eine Überstrukturiertheit vorhanden? Welche grundlegenden Lebensbedingungen und Aspekte des Lebensstils halten das Problem aufrecht? Dazu können Schlaf-und Eß-, Arbeits- und Freizeitgewohnheiten gehören. Die Sichtweise der Verhaltenstherapie ist in einer ersten Phase eher auf die großen Zusammenhänge, Strukturen und augenfällige Verhaltensweisen ausgerichtet. Erst wenn sich die größeren Zusammenhänge wieder in Richtung Balance bewegen (also z.B. eine ausreichende Nährstoffzufuhr oder ausreichend Schlaf vorhanden ist oder ernsthaft angestrebt wird), wird auf die inneren (Mikro-)Prozesse geschaut, die ebenfalls problemaufrechterhaltend sein können.
Darüber hinaus ist die Verhaltenstherapie strikt zielorientiert, handlungsorientiert, eher rational im Vorgehen, analytisch und strukturierend. Es wird viel Wert auf Transparenz der Prozesse und des Vorgehens gelegt.
Die Verhaltenstherapie ist ein Ergebnis der universitären Verhaltensforschung, der empirischen Psychologie und benachbarter Disziplinen (Evolutionstheorie, Soziologie, Physiologie). Aus Experimenten, die unter streng wissenschaftlich definierten und variierten Bedingungen stattfanden, wurden Regeln und Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens und vor allem Lernens abgeleitet. Psychische Probleme wurden als Ergebnis von Lernprozessen definiert und Möglichkeiten des Umlernens erarbeitet. Während sich sowohl die Forschung, als auch die Therapie zunächst ausschließlich mit dem Bereich des sichtbaren Verhaltens beschäftigte, kam es nach der sogenannten „kognitiven Wende“ zur intensiven Beschäftigung mit „unsichtbarem“ Verhalten, d.h. mit Gedanken und Gefühlen. Zusammenhänge zwischen Physiologie, Gefühlen, Gedanken und (sozialem) Verhalten wurden erforscht und in Folge auch in Behandlungen mit einbezogen.
Grundsätzlich ist das Ziel jeder verhaltenstherapeutischen Maßnahme die Veränderung der Bedingungen, die das Problem aufrechterhalten. Dazu gehören Bedingungen in der Umwelt und Bedingungen der Innenwelt, wie Gedanken, Ausrichtung der Aufmerksamkeit, Interpretationsgewohnheiten, Mechanismen der Informationsverarbeitung, der grundlegende physiologische Zustand eines Menschen (zu hoher oder zu niedriger Gesamttonus, zu hohe oder zu niedrige Nährstoffzufuhr, etc.), usw.
Zu Beginn jeder Therapie wird eine Funktions- bzw. Verhaltensanalyse erstellt, in welcher die aufrechterhaltenden Bedingungen herausgearbeitet werden, um sie im Folgenden zu verändern.
Die Verhaltensanalyse unterteilt eine Verhaltenskette in „Situative Auslöser“ (S), „Bedingungen innerhalb des Organismus“ (O), „Reaktion“ (R ) und „Konsequenzen der Reaktion“ (K). Als Beispiel soll hier die Verhaltensanalyse einer Person mit Höhenangst dargestellt werden:
S: auf einer hohen Brücke stehen, O: verlangsamte Adaption des Visus auf Nähe und Entfernung, sowie beschleunigte Atmung, R: Schwindel und Verlassen der Brücke, K: Erleichterung, da die unangenehme Situation beendet wurde. Da die Konsequenz angenehm ist, wird sie das Verhalten (Verlassen der Situation) verstärken, so dass die entsprechende Person Höhen immer öfter vermeidet und keine korrigierenden Erfahrungen („ich bleibe auf der Brücke und die Angst lässt nach“) stattfinden können.
Die Therapie besteht in einem solchen Fall entweder im klassischen Verfahren der „systematischen Desensibilisierung“, bei der konditionierte Angstreaktionen durch angstantagonistische Maßnahmen gehemmt und schrittweise abgebaut werden. Oder aber in der „massierten Konfrontation mit Reaktionsverhinderung“, in der die Person nach entsprechender Vorbereitung von vorne herein die schwierigste Situation aufsucht (z.B. den Olympiaturm) und so lange in dieser Situation bleibt, bis die Angst auf natürlichem Wege zurückgeht. Während das erste Verfahren kleinschrittig und somit auch „schonender“ ist, ist die massierte Konfrontation ein schnelleres, aber auch belastenderes Verfahren, welches allerdings bei ansonsten therapieresistenten Ängsten erstaunliche Erfolge zeigt.
Ein weiteres zentrales Ziel jeder therapeutischen Intervention ist in der Verhaltenstherapie die Verbesserung der Selbststeuerung bzw. Selbstregulation (situativ) oder aber des gesamten eigenen „Selbstmanagements“, was die Regelung aller eigenen Angelegenheiten meint. Dies bedeutet Probleme soweit wie möglich rückzubauen oder aber sie soweit wie möglich handhabbar zu machen.
Bekannte Methoden der Verhaltenstherapie sind (außer den o.g.): Training von Fertigkeiten (Soziale Kompetenz, Stressbewältigung, Entspannung, etc.), systematische Selbstbeobachtung (Führen von Tagebüchern und Protokollen), Psychoedukation, d.h. Aufklärung über Zusammenhänge des Problembereichs (z.B. Grundlegendes Wissen über Ernährung, Angstentstehung, etc.), Aufklärung über die übliche Genese des jeweiligen Problems und über das konkrete Vorgehen in der Therapie, Zielbestimmung, d.h., konkrete, möglichst sichtbare Definition des Zieles (z.B. eine 3 cm große Spinne 10 Minuten auf der Hand halten können, an einer Prüfung erfolgreich teilnehmen, in einem Streitgespräch die eigene Position selbstbewusst zu vertreten, etc.), empirische Hypothesentestung (Überprüfung eigener Annahmen durch eigene „Versuchsreihen“), etc.
In der Verhaltenstherapie gibt es für viele Diagnosen manualisierte Vorgehensweisen, d.h., dass der Kurs in der Therapie Stunde für Stunde festgelegt ist. Das individuelle Maßschneidern einer Therapie ist nicht vorgesehen und wird im Großen und Ganzen auch nicht für notwendig erachtet.